Es ist ein wenig verwirrend: Sie heißen Tancho, Shusui, Asagi oder Kujahu.
Wenn sie noch klein sind, bekommt man sie schon für eine Hand
voll Euros. Größere Exemplare dagegen erreichen locker
den Wert eines Oberklassewagens, manche sogar den eines Eigenheims. Die Rede
ist von Kois, jenen fernöstlichen Karpfen, die durch ihre gleichmäßige Form eines
lang gestreckten Zeppelins oder einer Zigarre seine Besitzer
faszinieren, gleichzeitig eine große Ruhe ausstrahlen.
viseo ließ die Seele baumeln.
Das zweiflügelige Tor zum Koi-Hof in Rühen öffnet sich ganz langsam.
Fernöstliche Musik dringt aus dem Wohnhaus. Nach einer
stressigen Autofahrt wirkt dies bereits ziemlich beruhigend. Peter
Buhl, ehemaliger Judoka und heutiger Importeur des Luxusfisches
aus Japan, hat auf seinem Hof einen Modellteich für Kois angelegt.
Gleich mehrere große Exemplare schwimmen im Rudel durch das
glasklare Wasser und sogleich stellt sich das Gefühl von Entspannung
und Ausgeglichenheit ein. »Sobald man an den Teich tritt,
beobachten einen die Kois«, sagt Buhl.
Ein beeindruckendes Farbenspiel vollzieht sich: Jeder Koi-Rücken
ist einzigartig in Muster und Farbgebung – die einen wirken metallicfarben,
andere besitzen ein Tannenzapfenmuster. Allen Kois ist
jedoch eines gemeinsam: die absolute Symmetrie.
Theoretisch können Kois eine Länge von bis zu 80 Zentimetern
erreichen und ihren Besitzer ein Leben lang begleiten: Das theoretisch
erreichbare Alter der zutraulichen Tiere – manche fressen
sogar aus der Hand ihres Besitzers – liegt bei über 75 Jahren.
Peter Buhl kennt sich beim Koi, der mittlerweile dem von den Deutschen
geliebten Goldfisch den Rang abläuft, hundertprozentig aus.
Vor allem in Sachen artgerechte Haltung: »Als Erstes muss ein
angemessener Teich errichtet, dann müssen die richtigen Filter
installiert werden. Erst danach bezieht der Koi seine neue Heimat«,
erzählt Buhl. Bemerkenswert außerdem: Ein Koi kann nur überleben,
wenn das Wasser nicht nur sauber, sondern auch in Bewegung
ist. Im Koi-Paradies in Rühen strömt das Wasser im Uhrzeigersinn.
Außer ein paar Prachtkois, die gern im Rudel schwimmen (»Der Koi
ist ein Gesellschaftsfisch«), schlingert überraschend auch ein Stör
auf dem Teichboden herum und wirbelt durch seine gleichmäßigen
Körperbewegungen den Schmutz auf. „Unser Saubermann: Er verhindert
die Ablagerung verunreinigender Stoffe, die so problemlos
abgepumpt werden können«, erklärt Buhl verschmitzt.
Da wäre noch die Frage nach der richtigen Ernährung. Was für
Champagner trinkende und Kaviar essende Promis in Monte Carlo
gilt, findet seine Entsprechung im exquisiten Koi-Becken. Denn
natürlich steht auch außergewöhnlichen Fischen ausgesuchte Nahrung
zu: Seidenraupen und Schrimps. Buhls weiterer Tipp: Paprika,
weil dies die rote Farbe intensiviert. Und wie bei der Schönheitsforschung:
Grünalgen.
Im Innern hängt ein absoluter Koi-Star – keine Angst: lediglich im
Bilderrahmen! – an der Wand, der jedem Koi-Züchter und Liebhaber
den Atem stocken lässt. Ein schneeweißer »Tancho« mit einem großen
und nahezu kreisrunden signalroten Fleck auf dem Kopf – als
trüge er die japanische Nationalflagge auf der Stirn. Buhl war durch
seine guten Kontakte nach Japan an das seltene Topexemplar herangekommen
– und hat es an einen Wolfsburger weiterverkauft.
Doch wie kommt man dazu, sich mit Kois zu beschäftigen? Peter
Buhl hat eine hohe Affinität zu Japan. Als ehemaliger Deutscher
Meister im Judo bereitete er sich 1972 auf die Olympischen Spiele
in München vor. Als damals 20-Jähriger war er häufig im Mutterland
der Kampfsportart zu Gast und machte dort zum ersten Mal
Bekanntschaft mit den Kois. In den frühen 70er Jahren schwappte
die Koi-Welle auch erstmals nach Europa über. Doch damals hatte
Buhl vor allem den Sport im Kopf – erst Mitte der 90er Jahre erinnerte
sich der beim Volkswagen-Konzern in der Logistik beschäftigte
Buhl an den Zierfisch und kam auf den Geschmack.
Über die Entstehung des Kois gibt es viele Sagen: Die Chinesen
erzählen die Geschichte von Konfuzius, der seiner Frau und seinem
Sohn zu dessen Geburt einen Karpfen schenkte. Einleuchtender
erscheint die Version, dass vor etwa 200 Jahren japanische Reisbauern
in der Gegend um Niigata, einer Küstenstadt am Japanischen
Meer, unter vielen graublauen Karpfen diejenigen aussortierten, die
weiße, schwarze, gelbe und rote Farbflecken aufwiesen. In den
folgenden Jahrzehnten wurden die Fische weitergezüchtet. Mittlerweile
versuchen sich auch Israelis und Thailänder an der Koi-Zucht.
Ein wenig extravagant ist er schon – der Koi. Die Preise eines Spitzenfischs
schnellen in die Höhe, sobald dieser prämiert wurde. Auf
der Koi-Messe in Rheda-Wiedenbrück zeichnet alljährlich eine japanische
Jury besondere Exemplare aus. Dann kann der Wert auch in
einen sechsstelligen Bereich abheben. »Manche kaufen sich Ferraris
oder andere Luxusartikel«, weiß Buhl, der die Koi-Messe jedoch
als durchaus zwiespältig empfindet, seien derartige Veranstaltungen
für die Tiere doch der absolute Stress.
Das Tor öffnet sich erneut, und schwupps ist man wieder in den
hektischen Alltag entlassen. Ein Besuch auf dem Koi-Hof sei hiermit
explizit auch Nichtliebhabern des fernöstlichen Fisches empfohlen.